Chancen und Herausforderungen älterer Fach- und Führungskräfte in der Versicherungswirtschaft
Die Versicherungsbranche ist im Umbruch – und das nicht erst seit gestern. Digitalisierung, Kostendruck und neue Vertriebswege zwingen Unternehmen zu strategischen Neuausrichtungen. Restrukturierungen sind an der Tagesordnung, und mit ihnen treffen Personalmaßnahmen nicht selten auch langjährige Leistungsträger.
Besonders betroffen: Mitarbeitende 55+, die trotz Erfahrung und Loyalität ihre Position verlieren.
In meiner Beratungspraxis begegnet mir dieses Phänomen regelmäßig – nicht nur vereinzelt, sondern in einer Häufung, die deutlich macht: Für ältere Fach- und Führungskräfte ist der Arbeitsplatzverlust häufig eine Zäsur mit existenziellen Folgen. Die Reaktionen auf dem Arbeitsmarkt sind dabei ambivalent – zwischen Wertschätzung und Vorbehalten.
Die Realität nach der Kündigung
Ein Verlust der beruflichen Position in diesem Alter ist mehr als nur ein Karrierestopp. Er stellt Fragen nach Anerkennung, Perspektive, finanzieller Sicherheit und Lebenssinn. Viele Kandidatinnen und Kandidaten in dieser Altersgruppe bringen beeindruckende Kompetenzprofile mit – fundierte Marktkenntnisse, Führungserfahrung, Standing. Dennoch geraten sie schnell ins Abseits, wenn sie nicht hochspezialisiert sind oder nicht aktiv gegen bestehende Altersklischees ansteuern.
Was macht die Vermittlung so schwierig?
- Rollenverfügbarkeit: Die klassischen Linienfunktionen sind häufig jüngeren Nachfolger:innen vorbehalten oder werden ganz gestrichen. Neue, projektbasierte Rollen setzen Agilität voraus – ein Attribut, das älteren Bewerbern oft (fälschlich) nicht zugetraut wird.
- Kostenaspekt: Auch wenn Vergütungsmodelle heute deutlich flexibler verhandelbar sind – viele Unternehmen assoziieren mit erfahrenen Kräften automatisch „zu teuer“.
- Kulturelle Hürden: Jüngere Führungskräfte auf Entscheiderebene scheuen mitunter die Auseinandersetzung mit deutlich älteren Mitarbeitenden – ein nicht zu unterschätzender Faktor.
- Selbstverständnis der Kandidaten: Einige Bewerber sind nicht ausreichend vorbereitet auf die neue Arbeitsrealität, sie unterschätzen den Wettbewerb, setzen auf klassische Bewerbungswege und zeigen wenig Flexibilität hinsichtlich neuer Rollenbilder.
Aber: Es gibt auch Lichtblicke
Besonders dort, wo Spezialwissen gefragt ist, z. B. in aktuariellen Bereichen, der Produktentwicklung, im Underwriting oder in der bAV, ist die Nachfrage nach Seniorität durchaus da – wenn auch projektbezogen oder interimistisch. Auch im Consulting oder als Mentor für jüngere Teams finden ältere Professionals zunehmend Einsatzfelder. Das setzt allerdings Offenheit auf beiden Seiten voraus.
Fazit: Sechs Impulse für den Umgang mit 55+ Professionals
- Spezialisierung ist Trumpf: Wer tiefes Fachwissen oder rare Erfahrung mitbringt, bleibt gefragt – auch jenseits der 55.
- Netzwerk schlägt Stellenanzeige: In dieser Altersklasse zählt das persönliche Netzwerk weit mehr als klassische Bewerbungskanäle.
- Flexibilität lohnt sich: Interim, Projektarbeit oder Consulting-Rollen sind ideale Einstiegsmöglichkeiten – und oft Sprungbrett für mehr.
- Coaching hilft: Viele Kandidaten profitieren von einem professionellen Sparringspartner, um Selbstbild und Marktchancen realistisch einzuordnen.
- Unternehmen müssen umdenken: Der pauschale Blick auf das Alter als Risikofaktor greift zu kurz – gerade gemischte Teams profitieren von Erfahrung und Kontinuität.
- Mut zur Lücke: Nicht jede berufliche Neuorientierung muss linear sein. Gerade jenseits der 55 ist auch ein Richtungswechsel denkbar – mitunter sogar befreiend.